Krankheit als Krise - in einem Buch zum Thema Krisenintervention habe ich interessante Aspekte zu Krankheiten als Auslöser von persönlichen Krisen gelesen. Anhand von Fallbeispielen berichtet die Autorin, die PhD ist und für das amerikanische Rote Kreuz arbeitet, wie Personen in Krisen geraten und wie die Berater in einem Kriseninterventionszentrum hier helfen können. Sie schreibt nicht nur über Krisen von Personen, die eine Posttraumatische Belastungsstörung haben und Gewalt erfahren haben, sondern auch von "situativen Krisen" (Aguilera 2000: Krisenintervention, Huber-Verlag). Aguilera beschreibt Krise als Störung des persönlichen Gleichgewichtszustand, der mit dem Auftreten bestimmter (negativer/stressverursachender) Gefühle zu einem emotionalen Ungleichgewicht führt und dann das Bedürfnis auslöst, ein Gefühl abzubauen. Ob dieses Gefühl zu einer Krise führt oder nicht, liegt am Vorhandensein oder Fehlen von Ausgleichsfaktoren.
"Zwischen den subjektiv empfundenen Auswirkungen einer belastenden Situation und der Beseitigung des Problems liegen drei Ausgleichsfaktoren (...), die Wahrnehmung des Ereignisses, der verfügbare situative Rückhalt und die Bewältigungsmechanismen" (Aguilera 2000:71). Sie beschreibt das sehr nachvollziehbar an verschiedenen Fallgeschichten. Interessant fand ich das Beispiel mit einem Herzinfarktpatienten. Er wollte trotz eines Infarktes sein Herzproblem nicht wahrhaben und seine Ängste (aufgrund familiärer Erlebnisse mit dem Herztod oder der familiären Abhängigkeit verschiedener, auch jüngere Mitglieder durch Herzprobleme) am liebsten verdrängen. Während die ersten starken Symptome auftraten, hatte er keinen situativen Rückhalt seiner Angehörigen oder Kollegen, er hatte zudem keine Strategie der psychischen Bewältigung, was zu einer immensen Angst führte. Doch die stärkste Angst bezog sich auf die befürchtete (und subjektive vorgestellte) Abhängigkeit von Anderen durch das Herzproblem und seine Sorge, dass die eigene Autonomie und Kompetenz nicht mehr gegeben sein könnte. Dieses Gedankenmuster führte zu einer Krise.
Ich hatte viele Patienten, die durch eine körperliche Beeinträchtigung in Krisen kamen. Meist steckte eine extreme Angst oder Wut dahinter, dass die Lebensqualität eventuell nachhaltig eingeschränkt werden könnte. Die Reaktion auf diese Beeinträchtigungen waren so unterschiedlich wie die Personen selbst. Bei einigen Patienten hatte ich das Glück, ebenfalls ein "Ausgleichsfaktor" sein zu dürfen - durch Verständnis zeigen, Verbalisieren von Emotionen oder Wünsche oder beidem...Der zusätzliche Einsatz von therapeutisch arbeitenden Händen oder subjektiv angepassten Übungen kann zudem zum "Krisenmanagement" auf körperlicher Ebene beitragen.
Macht man sich klar, dass eine körperliche Funktionsstörung auch immer ein Gefühl oder eine Gefühlsmixtur auslöst, und haben wir den Mut, dies in der Therapie ebenfalls einmal zu beleuchten, können Patienten und auch wir davon sehr profitieren. Klar, dass der Umgang mit krisengebeutelten Patienten für DIE Kollegen anstrengend ist, die in kommunikativen Kompetenzen nicht angemessen geschult sind und denen krankheitsbedingte Krisen bisher erspart geblieben sind. "Sprachlosigkeit" wird dann vielleicht kompensiert, indem man bagatellisiert oder mit eigenen Geschichte vermeintliches Verständnis ausdrücken möchte...Aber fühlt sich der Patient mit diesen Strategien verstanden?
Wie geht es Dir, wenn Du in einer Krise steckst? Was wünschst Du Dir, wenn Du Anderen Deine Gefühle offenbarst (nicht nur verbal!)?
Ich würde mir wünschen, dass jeder Kollege und jede Kollegin Mut hat, sich mit hilfreicher Kommunikation und psychologischem Wissen auseinanderzusetzen. Zur Unterstützung unserer Patienten und uns selbst.