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  • AutorenbildHeike HL

PhysioSein: Von der Halswirbelsäule, die geschüttelt wurde

Aktualisiert: 6. Jan. 2020


PhysioSein: Von der Halswirbelsäule (HWS), die geschüttelt wurde. Und zwar durch eine Therapeutin. Sie ist so unverständlich, dass ich sie eines BLOGEintrags würdig finde.

Frau H. hat ein akutes Problem mit ihrer HWS. Die Schmerzen sind nicht nur bei Bewegung, sondern auch in Ruhe vorhanden. Sie fühlt sich verspannt, der Kopf schmerzt und vor allem längere einseitige Haltungen machen das Problem zu einer echten Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität. Sie macht einen Arzttermin aus. Das Problem zieht nämlich langsam aber sicher auch in ihren Arm und die Hand. Das macht ihr Angst!

Nach Gespräch, Untersuchung und Diagnostik steht fest: Bandscheibenvorfall (= BSV) und Schmerzsyndrom der HWS. Sie bekommst Physiotherapie verschrieben. Doch wohin? In die Nähe der Arbeit ist für sie am einfachsten. Da kann sie auch tagsüber in der Pause die Termine wahrnehmen.

In der ersten Behandlung lässt die Therapeutin sie gleich auf den Bauch legen. Frau H. liegt mit dem Gesicht in der Lücke des Kopfteils und ist froh, ihren Kopf locker lassen zu können. Die Therapeutin greift an den Nacken, die Schultern und den Arm. Leicht empört sagt sie: "Na, SIE sind aber auch wirklich sehr verspannt!"

Naja - kein Wunder! Schließlich hat Frau H. viel am PC zu tun, kommt kaum zum Sport und kalt war es draußen auch noch!

Frau H. überlegt, ob sie das nochmal erwähnen soll, doch schon nimmt die Therapeutin ihren Schultergürtel und schüttelt sie ordentlich durch, mit den Worten: "Dann lockern wir das mal!"

Der Kopf von Frau H. bewegt sich hin und her, der steife Nacken wird ähnlich eines Schleudertrauma in Richtungen bewegt, von denen sie nicht mal wusste, dass ihre HWS das kann. Sie fragt sich, was das bringen soll, vertraut jedoch der Therapeutin. Sie denkt sich: wahrscheinlich darf die Therapie auch mal unangenehm sein - sonst bringt es vielleicht nichts...

Nach Verlassen der Praxis sind die Schmerzen an der HWS von Frau H. jedoch noch schlimmer, genauso wie die Ausstrahlungen.

Wenn Du Dir vorstellen kannst, was diese Art von Behandlung für eine akut schmerzende HWS bedeutet, wirst Du meinen Ärger als Physiotherapeutin über so eine Kollegin verstehen. Also habe ich hier:

Eine kurze Info zum Thema HWS-Behandlung:

Selbst mit einer kurzen Sequenz aus der oben beschriebenen Behandlung wird ein Problem unterhalten, bzw. verschlimmert statt gelöst. Schüttelungen mit dem Behandlungsziel: Lockerung des Gewebes gibt es zwar, jedoch eignen sie sich weder für eine Schmerzbehandlung im Bereich der Wirbelsäule noch bei einem HWS-Problem jeglicher Art. Sie werden eigentlich an Armen, Beinen oder vorsichtig im Bereich des mittleren/unteren Rumpfes appliziert. Sie dienen vorwiegend dem Ziel: Verbesserte Entspannungsfähigkeit. Jedoch schwerpunktmäßig in physiotherapeutischen Anwendungen der Inneren Medizin.

Schüttelungen am Kopf oder auch ein undifferenziertes Ziehen an der HWS kann schmerzende Zustände - vor allem bei übermäßiger Beweglichkeit einer HWS - verstärken. Beides erreicht häufig als globale Techniken nur Wirbelsegmente, welche eh beweglich(er) sind. Blockierte Gelenke, Bandscheiben induzierte und Gelenk bezogene Probleme behandelt man segmental und differenzierter.

Heute gibt es eine Reihe von aktiven und passiven Techniken, die Physiotherapeuten nutzen müssen, um eine HWS-Problem jeglicher Art gezielt und ohne negative Auswirkungen zu behandeln. Und diese haben wenig mit reinen Massagen oder "schüttelnde Lockerungen" zu tun.

Ein funktionell-physiologischer Blick über die HWS hinaus ist zudem sehr wichtig. Das bedeutet, eine Untersuchung der Brustwirbelsäule (= BWS) ist mit einzubeziehen. Denn häufig kompensiert die Halswirbelsäule dortige Unterbeweglichkeiten (die durchaus normal sein können, ohne Probleme zu machen) mit einer übermäßigen Beweglichkeit. Das ergibt Sinn, denn unsere HWS ermöglicht mit ihren Bewegungen eine Orientierung in der Umwelt und hat Priorität. Bis hoch zu den Kopfgelenken.

Ist die BWS bereit, funktionell mit der HWS zusammenzuarbeiten, wird Bewegung ökonomischer und somit weniger anfällig für Überlastungen - welche eine Gelenk- oder Bandscheibenreizung begünstigen können.

Tipps zum Thema Wirbelsäule findest Du auch in meinen BLOGEinträgen.

Informiere Dich als Patient immer über die Qualifikationen der Physiotherapeuten. Wie weit ist deren Aus- und Weiterbildung in Bezug auf Manuelle Therapie fortgeschritten? Lege Wert darauf, dass Du das von Deinem Therapeuten bekommst, was auf dem Rezept steht! Und gut erklärt wird, warum dieses therapeutische Vorgehen geplant und sinnvoll ist. Professionell arbeitende Physiotherapeuten führen eine genaue Untersuchung durch und haben einen klaren Plan, den sie transparent machen, bevor sie mit einer Behandlung "Hand" anlegen.

Als Physiotherapeut/In mache Dir den individuellen Grund und den Mechanismus des Problems der zu behandelnden HWS klar. Untersuche (aktiv) zusätzlich die BWS und im Zweifel beginne dort. Kläre alle möglichen Kontraindikationen, insbesondere vor passiven Techniken immer wieder neu ab: im Sinne des Patienten, der Profession und Deiner Erfahrungen. Muskeltechniken ohne Integration der Gelenke sind suboptimal!

Halswirbelsäulen sollte uns so viel Wert sein, dass wir sorgsam mit ihnen umgehen - als Patient und als Therapeut.

Du hast Fragen? Einfach melden :-)



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